
Ein schwieriges Kind - oder ein Kind in Schwierigkeiten?
December 6, 2025
Eine Einladung zum Perspektivwechsel für Eltern und Erziehende
Manche Kinder scheinen einfach „schwieriger“ zu sein als andere. Sie trotzen, weinen, provozieren,
ziehen sich zurück oder reagieren mit Wut auf kleinste Anlässe. Eltern geraten schnell an ihre
Grenzen– und fühlen sich hilflos, erschöpft oder sogar schuldig. Doch oft lohnt es sich, inne
zuhalten und die Frage neu zu stellen: Ist das Kind schwierig – oder befindet es sich in
Schwierigkeiten?
Ein Perspektivwechsel: Verhalten als Sprache der Seele
Kinder handeln selten „grundlos“. Hinter auffälligem oder anstrengendem Verhalten steckt fast
immer ein unerfülltes Bedürfnis oder eine überfordernde Emotion. Ein Kind, das laut und wütend
ist, versucht oft Kontrolle über eine Situation zu gewinnen, die sich für es unsicher anfühlt.
Ein Kind, das sich zurückzieht, schützt sich vor Überforderung oder Ablehnung. Aus
psychologischer Sicht ist Verhalten eine Form der Kommunikation. Wenn Kinder „schwierig“
sind, senden sie uns in Wirklichkeit eine Botschaft: „Ich brauche dich. Ich weiß nur nicht, wie
ich es dir anders zeigen kann.“
Was hinter schwierigem Verhalten steckenkann
1. Emotionale Überforderung:
Kinder haben oft noch nicht die Werkzeuge, um starke Gefühle zu regulieren. Sie reagieren
impulsiv – nicht, weil sie „nicht hören wollen“, sondern weil ihr Gehirn noch in der Entwicklung ist.
2. Bindungsunsicherheit:
Wenn ein Kind erlebt, dass seine Bedürfnisse nicht zuverlässig beantwortet werden, kann
es übermäßig klammern, kontrollieren oder rebellieren. Das ist keine Manipulation, sondern
ein Schutzmechanismus.
3. Reizüberflutung oder Hochsensibilität:
Manche Kinder nehmen Reize intensiver wahr. Was für andere normal ist, ist für sie zu laut,
zu hell, zu viel. Ihr Verhalten wirkt dann überzogen - ist aber eigentlich ein Versuch, sich
zu regulieren.
4. Entwicklungsphasen:
Trotzalter, Pubertät oder Übergänge (z. B. Schuleintritt) bringen emotionale Turbulenzen
mit sich. Das ist normal - aber herausfordernd.
Wie Eltern die Perspektive verändern können
Ein Perspektivwechsel bedeutet nicht, Grenzen aufzugeben oder alles zu entschuldigen. Es
bedeutet, mitfühlend hinzuschauen und zu verstehen, warum ein Kind tut, was es tut.
Fragen, die helfen können:
• Was möchte mein Knd mir mit diesem Verhalten sagen?
• Wie fühlt es sich gerade in seiner Welt?
• Was braucht es von mir - Halt, Ruhe, Nähe, Orientierung
Co-Regulation: Kinder brauchen lange einen „emotionalen Anker“
Kinder - besonders jüngere oder empfindsamere - können sich noch nicht selbst vollständig
beruhigen. Ihr Nervensystem ist darauf angewiesen, dass ein vertrauter Erwachsener sie
mitberuhigt. Das bedeutet: Wenn ein Kind in starker Wut, Angst oder Traurigkeit steckt,
braucht es zunächst einen regulierten Partner, der Sicherheit ausstrahlt. Erst dann kann das
kindliche Nervensystem sich wieder ordnen.
Kinder lernen Selbstregulation durch Co-Regulation - sie „leihen“ sich die Ruhe des Erwachsenen.
Darum ist die innere Gelassenheit der Eltern kein Luxus, sondern ein Schlüssel. Wenn Eltern
sich gut regulieren können, sich selbst beruhigen und präsent bleiben, fällt es dem Kind viel
leichter, sich wieder zu stabilisieren.
Selbstregulation für Eltern - innere Ruhe als Schlüssel
Kinder brauchen Eltern, die sich selbst regulieren können. Bevor wir ein Kind begleiten können,
müssen wir uns selbst wiederfinden - inmitten von Lärm, Emotion und Chaos. Hier lohnt sich
die selbstreflektierende Frage: Wie reguliere ich mich selbst, wenn es stürmisch wird?
Jede Mutter, jeder Vater wird hier eigene Antworten finden. Die folgenden Regulationstools
können helfen, die eigene innere Mitte wiederzufinden:
1. Atem als Anker
Der Atem ist das schnellste und effektivste Werkzeug zur Regulation.
Versuche: Einatmen für 4 Sekunden, Ausatmen für 6 Sekunden.
Das verlängerte Ausatmen signalisiert dem Nervensystem: „Ich bin sicher.“
Tipp: Lege beim Ausatmen eine Hand auf dein Herz – das fördert sofort Erdung.
2.Gedanken stoppen – Körper spüren
Wenn der Kopf kreist, hilft es, die Aufmerksamkeit bewusst in den Körper zu lenken.
Frage dich: Was spüre ich gerade in meinen Händen, Füßen oder Schultern?
Bodenkontakt, sanfte Bewegung oder bewusstes Strecken bringen dich zurück ins Hier und Jetzt.
3. Selbstmitgefühl statt Selbstkritik
Eltern sind keine Maschinen. Du darfst müde, überfordert oder genervt sein.
Erlaube dir Sätze wie: „Es ist okay, dass ich gerade erschöpft bin. Ich tue mein Bestes.“
Diese Haltung verändert sofort die innere Stimmung – und öffnet wieder Raum für Verbindung.
4. Natur & Mini-Pausen
Kurze Momente im Freien, tiefes Atmen am offenen Fenster oder ein Spaziergang helfen,
Stresshormone abzubauen. Auch 5 Minuten zählen. Regulation geschieht nicht nur im Kopf,
sondern im Körper.
5. Verbindung suchen
Sprich mit einem Partner, einer Freundin oder einer Fachkraft. Co-Regulation gilt auch
für Erwachsene: Wir beruhigen uns in Resonanz mit anderen Nervensystemen.
Fazit: Gesehen, gehalten, gemeinsam gewachsen
Kinder brauchen keine perfekten Eltern - sondern emotionale Vorbilder, die lernen, sich
selbst zu halten. Wenn Eltern sich regulieren können, wird das Zuhause zu einem sicheren
Ort, an dem Kinder lernen dürfen: „Gefühle sind okay. Ich bin sicher. Ich kann mich
wieder beruhigen.“
Und das ist der eigentliche Kern von Entwicklung: Nicht, dass alles glatt läuft - sondern,
dass wir lernen, uns immer wieder zufinden.
„Kinder brauchen Liebe am meisten dann,wenn sie sie am wenigsten verdienen.“ -
Erziehungsweisheit, die nie an Aktualität verliert.
Wobei ich ja der Meinung bin, dass man sich Liebe niemals verdienen muss.
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